Aufsatz von Eckhart G. Franz (die Beschreibung des Liebeselixiers befindet sich auf halber Höhe des Dokuments und ist rot unterlegt)

Vergeblicher Liebeszauber
Die Ehe der Anna von Württemberg
mit Graf Philipp der Ältere von Katzenelnbogen*
Mit einem großen Hoftag in Darmstadt ließ Graf Johann IV. von Katzenelnbogen zur Fastnacht des Jahres 1422, am 23./24. Februar, die Hochzeit seines Sohnes Philipp mit der jungen Gräfin Anna von Württemberg feiern, „eine der bemerkenswertesten“, „der reichsten und glanzvollsten“ in der Geschichte des Katzenelnbogener Grafenhauses, aber „auch einer der unglücklichsten und verhäng­nisvollsten, die seine Geschichte kennt“ – so Karl E. Demandt in einem seiner grundlegenden Aufsätze zur Geschichte deren von Katzenelnbogen, denen ein beträchtlicher Teil seines umfänglichen landeshistorischen Lebenswerks gewidmet war.
Die Grafen von Katzenelnbogen, die um 1100 erstmals nach ihrer Stammburg benannt wurden, hatten sich seit der Stauferzeit als treue Gefolgsleute der Kaiser eine beachtliche Territorialherrschaft aufgebaut. Die Stammlande der späteren Niedergrafschaft im Einrich zwischen Taunus und Lahn sicherte ein eindrucksvolles Burgensystem mit der mächtigen Feste Rheinfels oberhalb von St. Goar. Einen zweiten Schwerpunkt bildete seit dem frühen 13. Jahrhundert die nachmalige Obergrafschaft südlich des Mains mit Burg Auerberg an der Bergstraße, dem noch als Ruine imponierenden Auerbacher Schloss, und dem neu begrün­deten Verwaltungssitz Darmstadt, der auf Betreiben der Grafen 1330 von Ludwig dem Bayern zur Stadt erhoben wurde. Grundlage des in den Folgejahrhunderten gemehrten Reichtums der Grafen, deren mäzenatische Großzügigkeit schon Walter von der Vogelweide gerühmt hatte (ich bin dem bogenaere hold ...), wurde der systematische Erwerb der Rheinzölle, die schließlich von Gernsheim über Mainz, Ehrenfels und St. Goar bis zur holländischen Grenze in katzenelnbogischer Hand waren. In der Reichssteuerliste von 1422 stehen die Katzenelnbogener unter insgesamt 86 Grafen und Herren an vierter Stelle. In der Folgeliste von 1431 wurden sie nur noch von den Württemberger Grafen übertroffen.
Graf Johann IV. von Katzenelnbogen, durch die Heirat mit seiner Cousine Anna aus der jüngeren Linie des Hauses seit dem Tod des Vaters 1402 alleiniger Herr der seit dem späten 13. Jahrhundert geteilten Grafschaften, handelte somit nach dem Volkssprichwort „gleich und gleich gesellt sich gern“, wenn er für seinen einzigen Sohn und Erben um die Württemberger Grafentochter Anna warb. In Stuttgart regierte seit dem frühen Tod Graf Eberhards d. Jg. im Sommer 1419 als Vormünderin der noch minderjährigen Söhne Ludwig und Ulrich die tatkräftige Witwe Henriette, die den Württembergern die Grafschaft Mömpelgard zugebracht hatte. Mit großem „Umstand“ unterzeichneten Henriette und Graf Johann am 6. Februar 1420 den mit Rat ihrer Freunde und Räte ausgehandelten Ehevertrag für ihre Kinder. Hochzeit und Beilager sollten gefeiert werden, sobald die eben erst zwölfjährige Anna ihr 14. Lebensjahr vollendet hätte. Als Mitgift wurde die stattliche Summe von 16.000 Gulden ausgesetzt, die bei der Hochzeit bar überliefert oder auf Burg und Stadt Marbach am Neckar angewiesen werden sollte. Das war genau doppelt soviel wie die höchste bis dahin bei den Katzenelnbogenern nachweisbare Mitgift von 8000 Gulden, die 1367 für Anna von Diez gezahlt wurde. Auf mindestens noch einmal 16.000 Gulden wurde von den Württembergern der Wert des mütterlichen Erbes veranschlagt, das Anna nach Henriettes Tod zufallen sollte. Eine entsprechende Gesamtsumme von 32.000 Gulden setzten die Katzenelnbogener als Wittum und Widerlegung der Mitgift dagegen. Die dafür jährlich fällige Gülte von 1600 Gulden sollte aus den Gefällen des Odenwald-Schlosses Lichtenberg gezahlt werden, das Anna bei vorzeitigem Tod des Ehemanns als Witwensitz zugesagt wurde. 32 Zeugen, darunter als württembergische Räte Abt Siegfried von Ellwangen, Herzog Ulrich von Teck und die Grafen von Helfenstein, von Löwenstein, von Nellenburg und von Sulz, besiegelten das Vertrags-Pergament, das sowohl in Stuttgart wie im Katzenelnbogen-Bestand des Marburger Staatsarchivs überliefert ist.
Eindrucksvoller als die stattlichen Geldbeträge sind die in Stuttgart aufbewahrten Aufzeichnungen über den für Anna zusammengestellten Brautschatz, vor allem die prunkvolle Garderobe, die man sich nach zeitgenössischen Altarbildern plastisch vorstellen kann. Die kostbarsten Stücke waren der mit Hermelin gefütterte Brautmantel aus mit Goldfäden bestickter Seide, ein ebenfalls goldbestickter Samtrock mit Zobel- und Marderpelz-Futter, vier weitere rot-, schwarz- und grüngemusterte Samtröcke, sämtlich mit Futter aus Buntpelzwerk, ein grüner Mantel und ein weißer Rock aus Seidendamast, dazu als Jagd- und Reisekleidung lombardische Wollröcke, wobei zu jedem Rock zwei Ärmel aus gleichem Stoff, zum einen der beiden grünen Samtröcke überdies eine gefütterte Perlen-Brust gehörten. Mit Perlen besetzt waren auch mehrere Halsbänder und die mit den verschiedenfarbigen Kappen und Schleiern als Kopfputz gedachten Perlenkränze, von denen einer aus Konstanz kam. Zur Anreicherung des legendären Katzenelnbogener Silberschatzes brachte die Braut ein 20-teiliges Tafelsilber, das 43 Mark und 7 Lot wog, 20 Silberbecher, zwei vergoldete Silberpokale und weiteres Geschirr mit in die Ehe. Ein Teppich zeigte Tierdarstel­lungen, ein zweiter die Wappen von Württemberg und Mailand, die auch auf drei Stuhlbehängen wiederkehrten, offensichtlich Stücke aus der reichen Mitgift der Großmutter Antonia Visconti. Natürlich gehörten auch Bett- und Tischzeug dazu, außerdem zwei Zelter als Reitpferde und sechs Wagenpferde als Bespannung der beiden Fuhrwerke, des Kammerwagens und des mit Behängen, Decken und Polstern aus blauer Seide mit weißen Quasten ausgestatteten Reisewagens.
Die urkundliche Überlieferung belegt die Anfang Dezember 1421 erfolgte Überschreibung des Lichtenberger Wittums und die Verpfändung Marbachs für Gräfin Annas Mitgift, die den Ehevertrag bestätigten. Obwohl Philipp und Anna hier bereits als Mann und Frau bezeichnet wurden, fanden die eigentlichen Hochzeitsfeierlichkeiten erst im Februar des Folgejahres statt. Sie sind nur mittelbar bezeugt, doch wissen wir, dass zumindest Pfalzgraf Ludwig bei Rhein zu den Gästen zählte. Residenz des jungen Grafenpaares wurde das Darmstädter Schloss, das auch Graf Johann als Erbgraf bewohnt, seit seinem Regierungsantritt aber nur noch gelegentlich besucht hatte, vor allem wohl zu den herbstlichen Jagden im Ried und in den Forsten des Odenwaldes. Da es in der einstigen Wasserburg zwei standesgemäß ausgestattete Wohntrakte gab, kamen sich Eltern und Kinder auch bei späteren Besuchen nicht ins Gehege.
Hinweise auf das Leben des jungen Paares in den Folgejahren geben nur gelegentliche Zehrkosten-Einträge in den Katzenelnbogener Rechnungen. 1425 war das Junggrafenpaar bei den Eltern auf Burg Reichenberg zu Gast. Für das Jahr 1426 sind die gemeinsame Teilnahme der beiden Gräfinnen an der Aachener Heiltumsfahrt im Juli, Besuche in Kamp-Bornhofen, in Burg-Schwalbach und im Emser Bad belegt. Gemeinsame Heiligkreuz-Wallfahrten der beiden Gräfinnen ins Nonnenkloster Engelthal zu Ober-Ingelheim sind in den Stadecker Rechnungen für Mai 1427 und März 1428 bezeugt. Sie standen wohl in Zusammenhang mit der Geburt des ersten Sohnes, Graf Philipp d. Jg., zu dessen Taufe in Darmstadt Erzbischof Otto von Trier mit 36 Berittenen Geleitschutz erhielt. Das am 24. Juni 1427 beurkundete Bündnis Graf Philipps mit dem Trierer Kurfürsten und Graf Philipp von Nassau-Saarbrücken zum gemeinsamen Schutz der Lande zwischen Lahn und Taunus, mit dem sich der junge Graf erstmals selbständig m die „große Politik“ einschaltete, wurde möglicherweise bei dieser Familienfeier vereinbart. Die jährlichen Besuche zur Kreuzerhebung in Ober-Ingelheim wurden auch 1430/31 fortgesetzt.
Im Sommer 1433 verabschiedete sich Graf Philipp, jetzt schon „der Ältere“, in Darmstadt von Frau und Sohn, um mit zehn Gefährten eine Pilgerfahrt ins Heilige Land zu unternehmen. Ob und wieweit hier frommer Glaubenseifer, Abenteuerlust und zumindest zeitweiliges Ausbrechen aus dem nicht allzu aufregenden Dasein als Ehemann und unterbeschäftigter Thronfolger zusammenwirkten, muss offen bleiben. An Abwechslung hat es auf der vom gräflichen Kassenführer Siegfried sorgfältig aufgezeichneten Reise nicht gefehlt. Am 12. November traf die Reisegruppe nach Durchquerung des Sinai in Jerusalem ein. Auf der Rückfahrt sorgte ein Schiffbruch für zusätzliche Aufregung, Grund genug, der glücklichen Rückkehr noch eine Wallfahrt zu verschiedenen deutschen Pilgerorten folgen zu lassen. Gräfin Anna war dem weitgereisten Ehemann Ende April nach Rheinfels entgegengereist, als er (wie die Dornberger Rechnung vermerkt) „vom Heiligen Grab und dem St. Katharinen-Kloster zurückkehrte". Den Dank für die verzögerte Wiedervereinigung des Grafenpaares manifestieren die Stifterbilder des 1435 geschaffenen Flügelaltars in Kamp-Bornhofen. Im Mai 1437 lag Anna erneut im Kindbett. Der Schwiegervater ließ aus Rheinfels eine beachtliche Ladung Konfekt und Stärkungsmittel (gebacken krut) nach Darmstadt schicken. Der zweitgeborene Sohn Eberhard erhielt den Namen des württembergischen Großvaters, der freilich zugleich Leitname der jüngeren Linie der Katzenelnbogener gewesen war.
Als Philipps Mutter, die ältere Gräfin Anna, im Oktober 1439 im Darmstädter Schloss verstarb, fiel Philipp kraft früherer Erbabreden die Hälfte der Obergrafschaft zu, so dass er hinfort zumindest für diesen Landesteil auch rechtlich Mitregent war. Die neu gewonnene Selbständigkeit dokumentiert der im Sommer des Folgejahres auf eigene Rechnung getätigte Pfandkauf des kurtrierischen Zehnten in Boppard, für den insgesamt 18.000 Gulden gezahlt wurden. Fehlgeschlagen ist bald darauf der Versuch, für Junggräfin Anna die Anwartschaft auf das Mömpelgarder Erbe ihrer Mutter zu gewinnen. Nach Berichten des württembergischen Chronisten Oswald Gabelkover wollte Gräfinwitwe Henriette ihrer Tochter im Vorgriff auf das Erbteil die lebenslängliche Nutzung ihrer Wittumsgüter Wildberg und Bulach bei Calw und der Herrschaft Pruntrut/Porrentruy im Schweizer Jura, testamentarisch wohl sogar die gesamte Grafschaft Mömpelgard verschreiben. Annas Brüder Ludwig und Ulrich ließen die Mutter nach Bekanntwerden dieser Pläne für mehrere Monate im Nürtinger Schloss gefangensetzen und erzwangen damit im Spätsommer 1452 die Unterzeichnung eines Vertrages, der ihr Mömpelgard samt Nebenlanden auf Lebenszeit überließ, die Nachfolge aber eindeutig den beiden Brüdern zusprach. Anna musste sich mit den im Ehevertrag festgelegten 16.000 Gulden begnügen. Als die alte Gräfin am 14. Februar 1444 in Mömpelgard verstorben war, wurde die eine Hälfte in der vereinbarten Jahresfrist von Graf Ludwig bar ausgezahlt, der zweite Teil zunächst auf Rentenbasis gestundet.
Aus dem Frühjahr 1444 stammt eine auf den Dienstag nach Jubilate datierte Aufzeichnung über die Einrichtung des Darmstädter Schlosses (huysrat zo Darmstat), Beleg für den glanzvollen Stil, in dem Philipp und Anna hier Hof gehalten haben. Dass ein Teil der Truhen mit dem recht ansehnlichen Bibliotheksbestand in Gräfin Annas Zimmer (myner junghfrauwen kammern) stand, mag auf ein persönliches Interesse der Gräfin an den literarischen Schätzen hindeuten. Dazu gehörten neben theologischer Erbauungsliteratur, einer Vita der Heiligen Elisabeth, auch Bücher über König Artus und den König von Spanien sowie die Dichtungen Neithards von Reuenthal. Die Verwahrung der Bücher, der Bett- und Tischwäsche, aber auch der teils mit Wappen, teils mit Tieren und Blumen bestickten Kissen, Decken und Behänge in Kisten und Truhen erleichterte den Umzug der Hofhaltung nach Rheinfels, den Graf Philipp wohl schon bald nach Übernahme der Alleinregierung mit dem Tod des alten Grafen Johann Ende Oktober 1444 angeordnet hat.
Graf Philipp ging vermutlich allein nach Rheinfels. Wieweit die in der Folgezeit offenkundige Entfremdung des Ehepaares zurückreicht, ob schon der gescheiterte Versuch Gräfin Henriettes, der Tochter den Mömpelgarder Besitz zuzuschanzen, in diesem Kontext gesehen werden muss, lässt sich nicht sagen. Gräfin Anna hat nach Ausweis der Rechnungen auch in früheren Jahren jeweils längere Zeit allein auf ihrem Wittumssitz Lichtenberg gelebt, im Sommer 1438 insgesamt zehn Wochen. In der ersten Jahreshälfte 1438 war sie überdies nach Ausweis der Rechnungen längere Zeit in Marbach, auf dem für ihre Mitgift verpfändeten Schloss in der schwäbischen Heimat. Am 5.September 1443 wurde dann noch einmal ein Kind, die künftige Erbtocher Anna geboren. 1444 belegen die Stadecker Rechnungen einen gemeinsamen Besuch des Grafenpaares in der Fastenzeit.
Wie in einem 1446 aufgezeichneten Protokoll festgestellt wurde, hatte Graf Philipp seinen Amtmann für die Obergrafschaft, Hans von Wallbrunn, den Landschreiber Dielchen und den Kellner zu Lichtenberg angewiesen, sie sollten für die standesgemäße Versorgung der Gräfin auf Burg Lichtenberg sorgen, ihr alle Wünsche erfüllen, auch etwaige Ausgaben im angemessenen Rahmen abdecken. Er selbst aber wolle weder von ihr noch von sonst jemand gedrängt werden, nach Lichtenberg zu reiten: wann es ime eben were, so wolte hie komen, wanne es ime nit eben were, so wolte hie es laißen. Als die Gräfin dann im Juli 1446 persönlich auf Burg Dornberg bei Groß-Gerau erschien und über vielfältige Belästigung durch den Lichtenberger Kellner klagte, plante Philipp zunächst, selbst zum Verhör des beschuldigten Beamten in den Odenwald zu reiten, übertrug die Untersuchung dann aber seinem Vetter, Graf Dieter von Isenburg-Büdingen, und dem mittlerweile 19jährigen Sohn, Philipp d.Jg., die mit Amtmann und Landschreiber nach Lichtenberg zogen, um den Kellner im Beisein der Gräfin zur Rede zu stellen.
Die erste Beschwerde der Gräfin, der Kellner habe ihr von einer Aufzeichnung, einem zedel des Grafen erzählt, der ir sele, lib und ere berurende were, blieb etwas diffus. Der Kellner meinte, er habe sie lediglich vor den losen Reden einiger dorichten Leute in ihrem Gefolge gewarnt, die ihrem Mann zugespielt werden könnten. Die nächsten Anklagepunkte waren sehr viel konkreter: Der Kellner, so die Gräfin, habe ihr unterschiedliche Liebeszauber beigebracht, um die Neigung ihres Mannes zurück zu gewinnen. Er habe ihr erklärt, ich solle eyne spynne nemen und die in eyne nusschale thun und danne in mynen mondt nemen, so wan ich damit küsse, der muesse mich liep haben. Tatsächlich versucht habe sie den zweiten Zauber, für den sie ein Bad herrichten und oben drucken baden sollte, um dabei den Schweiß, der sich zwischen ihren Brüsten bildete, aufzufangen: weme oder wie ich eyme den ingebe, der mueße mich liep hain und konne nit von mir gelaißen. Der Kellner habe es übernommen, das aufgefangene Schwitzwasser in einer von Hans Kreis von Lindenfels überbrachten Wecke dem Grafen zuzuspielen. Der Kellner gab zwar zu, dass er den Auftrag umb fredens willen übernommen habe, bestritt aber, dass er auch die Rezepte geliefert hätte. Überführt wurde er, als die Gräfin zwei Zettel mit Beschwörungsformeln präsentierte, die eindeutig von der Hand des Kellners stammten. Er habe sie von einer mittlerweile verstorbenen alten Frau in Seeheim, erklärte dieser daraufhin, und beschuldigte die Gräfin im Gegenzug, sie hätte ihren Zimmermann zum Ziegenberg geschickt, um etwas über die Schwarze Kunst zu erfahren.
Wer hier wen verführt hatte, ließ sich in den recht widersprüchlichen Aussagen offenbar nicht klären. Eindeutig war, dass Gräfin Anna, die wohl den etwas unsteten Charakter der Mutter, dazu vielleicht einen Schuss vom südländischen Temperament der italienischen Großmutter geerbt hatte, im verzweifelten Bemühen, ihren Mann wieder an sich zu fesseln, auch vor Liebeszauberei und Hexerei nicht zurückschreckte. Der Graf beließ sie vorerst in Lichtenberg, legte aber zusätzlich zum üblichen Schlossgesinde eine berittene Wachmannschaft auf die Burg. Als es zwei Jahre später zu Streitigkeiten zwischen den gräflichen Reisigen und den Leuten der Gräfin kam, wurde nach eingehender Beratung der Eheleute ein Vergleich vereinbart (uns des beyde mit gudem fryen willen beradens und bedaichtes ... einmudiglichen und fruntlichen underredet und des gentzlichen und gnoichlichen uberkom­men): Die gräfliche Besatzung wurde auf den zur Sicherung der Burg notwendigen Stand reduziert, der Gräfin die freie Verfügung über Burg und Zubehör sowie die freie Bestellung ihres eigenen Gesindes zugestanden, das den gräflichen Beamten allerdings Treue schwören musste. Für ihren Unterhalt sollte Anna die an sich erst beim Tod des Grafen fällige Rente von 1600 Gulden aus dem Amt Lichtenberg ab sofort beziehen. Ein besonderer Punkt galt der offenbar im gräflichen Silberschatz verwahrten Krone Graf Eberhards von Württemberg, die ihr nach Philipps Tod ausgehändigt werden, auf Dauer aber beim Hause Katzenelnbogen verbleiben sollte. Der Graf behielt sich überdies vor, seine Frau jederzeit in Lichtenberg zu besu­chen.
Dass die Eheleute sich auch in den Folgejahren in Abständen trafen, bezeugen abermals die Rechnungen, die für Lichtenberg selbst leider nicht erhalten sind. Ende April 1450 war Anna in St. Goar zu Besuch, besuchte die Kirche von Kamp-Bornhofen und wallfahrtete anschließend zum Heiligen Rock in Trier. Anfang Mai traf sie den Grafen in Dornberg; Ende des Monats vermerkte der Rüsselsheimer Kellner, die Gräfin sei mit sechs Pferden rheinabwärts nach St. Goar gereist. Ob hier eine an sich zerrüttete Ehe mit Rücksicht auf die Kinder aufrechterhalten wurde, ist anhand der letztlich doch spärlichen Quellen schwer zu sagen. Wo die inzwischen achtjährige Tochter Anna, die schon Anfang Juli 1446, wenige Wochen vor dem Liebeszauber-Protokoll, vertraglich dem Eandgrafen Heinrich von Hessen zur Ehe versprochen worden war, aufgewachsen ist, bei der Mutter in Lichtenberg oder am Hof des Vaters in Rheinfels, wissen wir nicht
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Graf Philipp d. Jg. hatte im Frühjahr 1450 - auch hier war der Vertrag schon Jahre zuvor geschlossen worden - die entfernte Cousine Ottilie von Nassau geheiratet und mit ihr das als Thronfolger-Quartier bewährte Schloss in Darmstadt bezogen. Zehrkostenbelege aus Darmstädter Wirtshäusern in der Rechnung des junggräflichen Landschreibers für Sommer und Herbst 1450 erweisen, dass die Mutter vom damit noch einmal neu belebten Darmstädter Hofleben zumindest zeitweilig profitierte. Der plötzliche Tod des Junggrafen Ende Februar 1453 hat sicher beide Eltern schwer getroffen. Kurz darauf, am 5.Juli 1453, wurden Gräfin Annas Einkünfte in einem Abkommen mit den württembergischen Verwandten noch einmal neu festgelegt. Da die Pfandschaft auf Marbach inzwischen eingelöst war, sollte Anna künftig 2400 Gulden beziehen, von denen jetzt nur noch 800 auf die Lichtenberger Gefälle, weitere 800 auf die Dörfer Rossdorf und Gundernhausen und die letzten 800 auf Ober- und Nieder-Ramstadt angewiesen wurden. Im August 1453 hielten sich Philipp und Anna mehrere Wochen in Hadamar auf. Um den 6. Dezember waren sie zusammen zur Schweinshatz in den Weiseler Wäldern auf Burg Reichenberg. Im Frühjahr des Folgejahres sind gemeinsame Besuche auf Burg Hohenstein, in Hadamar und wiederum auf Reichenberg bezeugt; sie galten vielleicht der Verabschiedung der inzwischen zehnjährigen Tochter Anna, die Ende März zur Familie des künftigen Ehemannes nach Marburg gebracht wurde.
Noch vor der schon mehr als ein Jahrzehnt zuvor verabredeten Heirat der Tochter mit dem hessischen Landgrafen, die - wie einst bei der Mutter - mit Vollendung des 14. Lebensjahres Anfang 1457 vollzogen wurde, erwirkte Graf Philipp d. Ä. bei Papst Calixt III. die formelle Trennung seiner Ehe. Die Begründung lieferten die an sich schon viele Jahre zurückliegenden bösartigen Anschläge der Frau (tandem in discrimen persone sue machinata presumpsit hactenus et presumit), die ein weiteres Zusammenleben unzumutbar machten. Der Wegzug der Tochter, vielleicht auch der nicht eindeutig datierbare Tod des zweiten Sohnes, mögen Anna den Entschluss erleichtert haben, den Zwangsaufenthalt in Lichtenberg, der einer Verbannung gleichkam, zu beenden und nach Schwaben zurückzukehren; sie könne dort - so die offizielle Begründung - Gott besser dienen (darumb das wir Gott dem almechtigen deste baß und geruwelicher gedyenen moegen). Die Modalitäten wurden in einem am 18. April 1457 beurkundeten Vertrag zwischen Bruder Ulrich und Graf Philipp geregelt. Philipp stimmte der Übersiedlung zu und verschrieb Anna gegen Verzicht auf alle hessischen Güter und Einkünfte eine reduzierte Jahresrente von nurmehr 1000 Gulden. Die Anwartschaft auf Lichtenberg sollte allerdings wieder aufleben, falls Philipp vor ihr sterben würde. Gräfin Anna zog mit ihrem sicher nicht allzu umfangreichen Gefolge (mit irem wesen) ins württembergische Waiblingen, wo ihr der Bruder mit Urkunde vom 20. August 1459 seine dortigen Häuser und Hofreiten überschrieb.
Wenige Wochen später ließ sich Anna von Papst Pius II. das schon acht Jahre zuvor vom Kardinal-Pönitentiar Dominicus erwirkte Recht zur Wahl eines eigenen Beichtvaters bestätigen. Eine weitere Urkunde Bischof Heinrichs von Konstanz aus dem Jahre 1461, die der Gräfin erlaubte, sich in ihrer Hauskapelle vor einem Tragaltar die Messe lesen zu lassen - auch hier gab es eine damals auf Graf Philipp und Frau ausgestellte Vorurkunde aus dem Jahre 1451 - mag darauf hinweisen, dass es sich bei dem „Gott besser dienen" nicht nur um eine Redensart handelte. Die Urkundenüberlieferung im Stuttgarter Hausarchiv endet mit einem Kerbzettel vom 21.April 1464, mit dem Gräfin Anna ihrem Bruder die Lieferung von 120 Model Hafer, 40 Model Roggen und 72 Model Dinkel aus dem Kasten in Waiblingen bestätigte. Ein Brief im Marburger Archiv vom 7. März 1470 belegt, dass Anna zumindest mit der allerliebsten dochter zeitlebens in Verbindung blieb. Den Tod Gräfin Annas am 16. April 1471, fast ein Vierteljahrhundert nach dem verhängnisvollen Verhör auf Burg Lichtenberg, meldet nur der württembergische Chronist Gabelkover, der auch die Inschrift des Grabsteins in der im 19. Jahrhundert abgerissenen Kapelle der Waiblinger Kirche festgehalten hat: A.d. 1471 ... obiit illustris domma Anna comitissa de Katzenelnbogen, nata de Wirtemberg, cuius anima requiescat in pace.
Falls Graf Philipp d. Ä. bei der in Rom erwirkten Scheidung den Hintergedanken hatte, sich ein zweites Mal zu verheiraten, um dem mit dem Tod des ältesten Sohnes drohenden Erlöschen des Hauses Katzenelnbogen entgegenzuwirken, so hat er entsprechende Überlegungen nach der Heirat der Tochter offensichtlich zunächst nicht weiterverfolgt. Die Nachfolge des Schwiegersohns Landgraf Heinrich von Hessen schien längst geregelt, als Philipp drei Jahre nach dem Tod seiner Frau, im Januar 1474, inzwischen über 70jährig, doch noch einmal zum Traualtar schritt, um eine weitere Anna zu ehelichen: die verwitwete Anna von Nassau-Dillenburg, deren erster Ehemann Otto von Braunschweig nach nur dreijähriger Ehe ebenfalls 1471 verstorben war. Die kinderlos gebliebene Verbindung hat den für die künftige Geschichte Hessens wichtigen Anfall des Katzenelnbogener Erbes mit Philipps Tod 1479 nicht behindert, führte jedoch zu langwierigen Auseinandersetzungen mit den Nassauern. Die im Ahnen-Wappen der nachfolgenden Hessen-Landgrafen evident gehaltene Verbindung mit dem Hause Württemberg wurde neu belebt, als Landgraf Philipp den aus seinem Land vertriebenen jüngeren Ulrich 1534 mit erfolgreichem Heerzug in sein Land zurückführte und den ältesten Sohn zur Festigung des Bündnisses mit der Württembergerin Sabine verheiratete.